bauhaus
imaginista
Artikel

Eine Schule in der Welt

bauhaus imaginista wandert an das Zentrum Paul Klee

Mohamed Melehi, Ohne Titel, n.d.
Courtesy of the artist, colletion of l’Atelier Pauline de Mazières
© 2019, ProLitteris, Zurich

Hundert Jahre nach seiner Gründung nimmt das Forschungs- und Ausstellungsprojekt bauhaus imaginista erstmals das kosmopolitische Bauhaus und seine internationale Rezeption zum Ausgangspunkt für eine Neubetrachtung. Die Ausstellung berichtet von den Kontakten, Begegnungen und Korrespondenzen, die sich durch das Bauhaus, seine Lehrenden, Schüler*innen und internationale Folgeinstitutionen auch nach der Schließung der Schule 1933 ergeben haben. bauhaus imaginista vermittelt so ein Bild einer Weltgesellschaft, die bereits im 20. Jahrhundert in regem Austausch war.

Globalisierungstheorien wie wir sie heute kennen, waren zur Gründung des Bauhauses noch kein Thema. Erst seit 1989 ist es möglich geworden die Beziehungen des Bauhauses zu anderen Modernen bis nach China zu erforschen. Konzepte wie Internationalismus und Kosmopolitismus waren allerdings schon 1919 relevant. Mit ihnen versuchten Künstler*innen und Intellektuelle den Nationalismus am Anfang des 20. Jahrhunderts zu überwinden, der den verheerenden ersten Weltkrieg mitverschuldet hatte. Nicht nur in Ascona am Monte Verità fanden anationale Kongresse statt, die über neue Gemeinschaftsformen jenseits der Volksnation nachdachten und deren Netzwerke bis hin zum Poeten Rabindranath Tagore nach Bengalen, Indien reichten. Seine Reformkunstschule Khala Bhavan wurde wie das Bauhaus 1919 gegründet und verfolgte ebenfalls die Synthese von Kunst und Handwerk. Für die Gründung des Bauhauses waren lebensreformerische, radikal pädagogische und sozial-utopische Ideen von zentraler Bedeutung. Lehrenden pflegten zudem rege Beziehungen zum russischen Konstruktivismus, der holländischen De Stijl Bewegung oder dem sozialistischen Internationalismus. Das internationale Netzwerk des Bauhauses spiegelte sich auch in seinen Publikationsreihen, die weltweit rezipiert wurde. Die Offenheit für neue Ideen und ein innovativer Lehrplan – jenseits von elitärer Kunstakademie und nationaler Kunstgewerbeschule – machte das Bauhaus in all seinen Phasen bis 1932 attraktiv für internationale Studierende aus Süd-, Ost-, Nord- und West-Europa, den USA und Asien.

Der japanische Künstler Takehiko Mizutani dessen Vorkursarbeit die Ausstellung im Zentrum Paul Klee bewirbt, war von 1926–1929 Student am Bauhaus in Dessau. Vor ihm hatten schon andere Vertreter*innen der japanischen Avantgarde das Bauhaus besucht. Reisen aus Japan nach Weimar und Dessau sind an sich bemerkenswert. Distanzen wie sie etwa Michiko und Iwao Yamawaki zurücklegten um Anfang der 1930er-Jahre am Bauhaus zu studieren um von dort zurück durch die Sowjetunion nach Japan zu reisen, sind allemal eindrücklich. Was sie und viele ihrer Generation weltweit anzog war nicht nur das neue Bauhaus-Curriculum. Michiko und Iwao Yamawaki kamen aus einem Tokio, in dem die Bewegung der Moga und Mobo (modern girls, modern boys) bereits Fuß gefasst hatte, in ein Berlin, das für sein Nachtleben und seine aktive transgender Szene international berühmt berüchtigt war. Vom Bauhaus hatten sie von Sadanosuke Nakada, einem Künstlerkollegen der radikalen Avantgardegruppe Tan'i sanka in Tokio, der bereits 1922 das Weimarer Bauhaus besucht hatte, gehört. Und sie waren durch die Szene japanischer Künstler*innen informiert, von denen einige bei Johannes Itten in seiner Berliner Schule Kalligrafie unterrichteten. In Berlin gründeten sie mit Koreya Senda, der dort als sozialistischer Theatermacher arbeitete, das Designstudio Tomoe. Ihre Nächte verbrachten sie mit ihren Freunden in der schwul-lesbischen Bar El Dorado. Ihr Wunsch am Bauhaus zu studieren war geprägt von verschiedensten Avantgardebewegungen. Die ästhetische Bewegung des Modernismus hatte einen Ort für eine ganze Generation geschaffen, bestehende Lebensweisen in Frage zu stellen.

Der japanische Architekt und Journalist Renshichirō Kawakita hatte das Bauhaus zwar nie besuchte, war aber im engen Austausch mit den Besucher*innen und Studierenden des Bauhaus aus Tokio. Sein Verständnis der neuen Schule war geprägt durch seine zahlreichen deutsch-japanischen Übersetzungen. Kawakita verstand das Bauhaus als ein Experiment von miteinander widerstrebenden pädagogischen Ansätzen, was der Realität der Schule sehr nahe kam. Im Prozess eines west-östlichen Kulturtransfers und durch die Entwicklung neuer Lehrmethoden, die die Bauhaus Lehre aufgriffen, wollte Kawakita die japanische Kultur und ihre Auffassung von Kunst und Leben erneuern. Er bezog sich dabei auf Johannes Ittens Auseinandersetzung mit dem östlichen Denken und seinen Lehransätzen, die mit Franz Čižeks Ideen zur Befreiung des Kindes korrespondierten und interessierte sich für die synästhetische Lehre Getrud Grunows (einer wenig beachteten Bauhaus Meisterin). 1931 gründete Kawakita eine Gestaltungsschule, die Lehrmethoden des Bauhauses aufnahm. Er hielt auch Workshops in Handwerksbetrieben in Tokio ab, in denen neue Methoden des Lernens am Material im Sinn konstruktivistischer Ideen vermittelt wurden. 1934 dokumentierte er seine neuen Ansätze in der Publikation Kōsei Kyōiku Taikei, die als Manifest für eine Erneuerung der Kunsterziehung Japans gelten kann. Der Begriff „Kōsei“ findet dabei seine Entsprechung im deutschen Begriff der „Gestaltung“ und leitet sich von der lebensgestalterischen Philosophie der japanischen Kultur ab und nicht vom Design von Objekten. Kawakitas Schule für Neue Architektur und Gestaltung musste schließen, als das japanische Bildungsministerium ihr die weitere Genehmigung vorenthielt und sie dem aufkommenden Klima von Nationalismus und Militarismus nicht länger standhalten konnte. Obwohl seine Schule nur wenige Jahre existierte, prägte sie zahlreiche japanische Gestalter*innen wie den Grafikdesigner Yusaku Kamekura und die Modedesignerin Yōko Kuwasawa, die nach dem 2. Weltkrieg ihre eigene Schule gründete, die die Designentwicklung Japans maßgeblich prägen sollte. Die Moderne – wie es dieses Beispiel zeigt – als vielfältige transnationale Bewegung zu verstehen, bedeutet auch, den kreativen Überschuss zu erkennen, der aus künstlerischen Reisen, Beziehungen, lokalen Übersetzungen und der Migration von Menschen und Gestaltungskonzepten über nationale Grenzen hinaus, hervorgegangen ist.

Takehiko Mizutani, Studie zum Simultankontrast aus dem Unterricht von Josef Albers, 1927
Deckfarbe auf Karton, 80,4 x 55 cm
Bauhaus-Archiv Berlin, Foto: Markus Hawlik

In einem dialogischen Prozess mit einem Team internationaler Forscher*innen, haben der Kurator Grant Watson und ich seit 2016 für bauhaus imaginista vier Ausstellungskapitel entwickelt, die auch im Katalog und in unseren Online-Journal (bauhaus-imaginista.org) ihre Entsprechung finden. In diesen Kapiteln wurden lokale Formen der Aneignung, die Weiterentwicklung bis hin zur Zurückweisung der Bauhaus Moderne vor dem Hintergrund lokaler Notwendigkeiten über drei Jahre untersucht und in Ausstellungen und Veranstaltungsformate übersetzt, die seit 2018 bereits weltweit zu Gast waren.

Jedes der Kapitel nimmt einen besonderen Bauhaus-„Gegenstand“ zum Ausgangspunkt für eine konkrete Fragestellung, von der aus historische und zeitgenössische Bezüge entwickelt werden. Der „Gegenstand“ des Ausstellungskapitel Corresponding With ist das Bauhaus-Manifest (1919), von dem aus das Bauhaus sowie zeitgleiche avantgardistische Kunstschulen in Indien und Japan als eine Parallelgeschichte von modernen Bildungsreformen des frühen 20. Jahrhundert vorgestellt werden, die ich im Eingang dieses Textes bereits skizziert habe. Paul Klees Zeichnung Teppich (1927) ist der zentrale Bauhaus-„Gegenstand“ des Kapitels Learning From, in dem das Interesse an vormoderner Handwerkskunst am Bauhaus im nord- und mittelamerikanischen Exil sowie in postkolonialen Kunstbewegungen der Nachkriegszeit in Brasilien, Mexiko und Marokko verglichen wird. Learning From zeigt diverse Formen künstlerischer avantgarde Forschungen und die Fragen, die sich bis heute aus diesen ergeben. Denn oftmals blieb in den Aneignungen eines nord-afrikanischem Kulturguts durch Künstler*innen der Moderne verdeckt, dass das politisches und soziales Ungleichgewicht bestehen bleibt, welches mit dem europäischen Kolonialismus bis heute besteht. Eine Frage, der der algerisch-französische Künstler Kader Attia in seiner für bauhaus imaginista neu produzierten Arbeit nachgeht oder die in jenem Versuch deutlich wird, die Kultur zu dekolonisieren, ein Weg den eine Gruppe marokkanischer Künstler*innen in den 1960er und ’70er Jahren mit Bezug auf das Bauhaus verfolgte.

Paul Klee, Teppich, 1927
Hans-Willem Snoeck, Brooklyn, New York, Foto: © Edward Watkins

Moving Away nimmt Marcel Breuers Collage ein bauhaus-film (1925) als Ausgangspunkt, um Gestaltungsdebatten am Bauhaus und ihre Übersetzung in andere kulturelle und politische Kontexte wie China, Nigeria, Indien, die Sowjetunion und die DDR zu verfolgen. Besucher*innen treffen in Moving Away unterschiedlichste Form von Verflechtungen mit der Bauhaus-Moderne in Filmen, Dokumenten und neu produzierten künstlerischen Arbeiten von Wendelien van Oldenborgh, Alice Creischer und Doreen Mende an, aber auch in Form von geopolitischen Umwälzungen und privaten Tragödien, die in diesen Arbeiten zum Ausdruck kommen. Ein weiteres Filmprojekt wurde gemeinsam mit dem Architekten Zvi Efrat aus Tel Aviv entwickelt. Es stellt den Campus der University of Ife, heute Obafemi Awolowo University in Nigeria vor, der seit 1961 vom Bauhaus-Absolventen und Hannes Meyer Schüler, dem Architekten Arieh Sharon gemeinsam mit einem Stab nigerianischer Architekten (darunter A. A. Egbor aus Lagos) geplant wurde. Zu seiner Mitwirkung am Campus Ife kam es auf Initiative der west-nigerianischen Unabhängigkeitsregierung, die mit den israelischen Entwicklungshilfevorhaben im Afrika südlich der Sahara in Kontakt stand. Sharon und seine Mitarbeiter planten und bauten den Campus über einen Zeitraum von 20 Jahren. Der Campus ist bis heute ein lebendiger Lernort und durch seine intelligente klimasensitive Gestaltung ein Vorbild für passive Architektur.

Ife Campus, Nigeria, Filmstill von Zvi Efrats Film für ​bauhaus imaginista
Foto: © Keren Kuenberg

Das letzte Kapitel Still Undead thematisiert ausgehend von Kurt Schwerdtfegers Reflektorischem Lichtspiel (1921) das experimentelle Arbeiten mit Licht, Sound, Film und Lifeperformance und dessen Nachwirkungen im experimentellen Film, der visuellen und populäreren Kultur sowie der elektronischen Musik. Mit Still Undead lebt das Bauhaus als Untoter weiter. Das Kapitel widmet sich jenen Praktiken, die jenseits des Bauhaus-Lehrplans im Rahmen seiner berühmten Feste entstanden sind und bis in die Gegenwartskunst und die digitale Kultur weiterwirken. Der geografische Fokus liegt auf Westdeutschland, den USA und Großbritannien und es bleibt offen, ob die Experimente in den neuen kapitalistischen Verwertungsindustrien aufgehen oder aber in der Gegenkultur weiterleben.

Kurt Schwerdtfeger, Reflektorische Farblichtspiele, 1922
Courtesy of Microscope Gallery and Kurt Schwerdtfeger Estate
Foto: Silke Briel

●Author(s)
+ Add this text to your collection!