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●Edition 4: Still Undead
Artikel

Festives und Theatralisches

Die Maskenfotos von Gertrud Arndt und Josef Albers als Ausdruck von Festkultur

Das Kostümieren spielte am Bauhaus eine zentrale Rolle. Von Anfang an wurden regelmäßig Maskenbälle unter den unterschiedlichsten Mottos gefeiert. Und die Bauhäusler eilten herbei, bereiteten teilweise wochenlang in den Werkstätten und privat die über die Mauern der Schule hinaus populären Bauhausfeste vor: Dekorationen, Vorführungen, aber vor allem ihre Kostüme –aus simplen Materialien verwandelten sich die Bauhäusler in wundersame Gestalten, Menschgewordene Objekte und maskierte Wesen. Gertrud Arndts Maskenfotos (eine Serie von 43 Selbstbildnissen) leiten sich direkt aus diesen Bauhausfesten ab. Ebenso wie eine Serie von neun Farbfotografien, die in direkter Folge am Black Mountain College aus dem Jahr 1940 anfertigt wurden und sich heute im Nachlass von Anni und Josef Albers befinden.

Gertrud Arndt, Maskenfotos, 1929–1930, Bauhaus-Archiv Berlin, © VG Bild-Kunst, Bonn 2019.

Gertrud Arndt war ein großer Fan von Festen. Ihr letzter, sehnlichster Wunsch war es, dass Freunde und Verwandte nach ihrem Tod ein fröhliches Bauhausfest feiern sollten.1 Sie liebte den Karneval und liebte es sich in Kostüme zu hüllen und zu verwandeln.2 Ihrer Leidenschaft konnte sie am Bauhaus ausgiebig nachgehen – mit ihrer Freundin Otti Berger, die einen ganzen Koffer voller Tücher und Accessoires besaß, aber auch zu den regelmäßigen Bauhausfesten, die beinahe institutionalisiert zum Schulbetrieb gehörten. Das Bauhaus-Manifest schloss Walter Gropius 1919 unter dem Punkt „Grundsätze des Bauhauses“ mit den Worten: „Pflege freundschaftlichen Verkehrs zwischen Meistern und Studierenden außerhalb der Arbeit; dabei Theater, Vorträge, Dichtkunst, Musik, Kostümfeste.“3 Man feierte das Laternenfest, das Drachenfest, das Bart-Nasen-Herzens-Fest, das Weiße Fest, das Metallische Fest … Zusätzlich zu diesen großen Festen, bei denen sich die Bauhäusler erst in Weimar und später in Dessau ganz nach eigenem Belieben mit einfachsten Mitteln verwandelten (Marianne Brandt benutzte für ihre Verkleidung zum Metallischen Fest beispielsweise eine Teekugel als Kette und einen Metallteller als Kopfschmuck zur perfekten Verwandlung in eine moderne Metall-Amazone) wurde jeden Monat ein Maskenball veranstaltet, angeregt durch die um 1906 von dem Bildhauer Adolph Brütt initiierten Maskenbälle an der Weimarer Kunsthochschule.4

Dem Spieltrieb der Bauhäusler wurde hierbei freien Lauf gelassen – ein wesentlicher Unterrichtsbestandteil auch der Vorkurse und der Bühnenwerkstatt am Bauhaus. Oftmals bereitete man in allen Werkstätten wochenlang die großen Feste vor, die nicht nur dazu bestimmt waren, Querelen unter Studierenden und Meistern beim wilden Tanz in Luft verpuffen zu lassen, sondern auch die Kontaktaufnahme nach außen zu den Bürgern außerhalb des Bauhauses. Bald schon erreichten die Feste Ruhm über die Mauern des Bauhauses hinaus und so wurden auch Feste auf der Burg Giebichenstein in Halle oder in Berlin gefeiert, mit allem Drum und Dran: Kostümen, Dekoration, lauter Musik, Tanz und Fotos.5 Das maskenhafte Kostümieren gehörte quasi untrennbar zum Bauhaus dazu. Auch Gertrud Arndt und Anni und Josef Albers ließen sich von diesem Virus infizieren. Nur gingen die Kostümierungen zu den Festen am Bauhaus und – was die Albers’ angeht – danach auch am Black Mountain College in ihren Maskenfotos über das pure Partyvergnügen und über die Zeit am Bauhaus hinaus.

Gertrud Arndt, Maskenfotos, 1929–1930, Bauhaus-Archiv Berlin, © VG Bild-Kunst, Bonn 2019.

Obwohl Gertrud Arndt eine der talentiertesten und erfolgreichsten Weberinnen am Bauhaus war, wollte sie nach ihrem Weberei-Studium nie wieder weben. Und sowieso war es ihr eigentliches Ziel gewesen, Architektin zu werden. Schon vor ihrer Zeit am Bauhaus war sie diesem Vorhaben gefolgt und bei einem Erfurter Architekten in die Lehre gegangen. Hier tat sie auch ihre ersten Schritte als autodidaktische Fotografin, indem sie alte Erfurter Bauten fotografisch im Auftrag des Architekturbüros dokumentarisch festhielt. Mit einem Stipendium der Stadt Erfurt ging Gertrud Arndt (damals noch Hantschk) 1923 ans Weimarer Bauhaus. Außer einem „Werkzeichenkurs“ unter der Leitung von Adolf Meyer, wo architektonisches Zeichnen und Kompositionsstudien unterrichtet wurden, boten sich Arndt trotz ihrer vorherigen Architekturlehre in Erfurt keine weiteren Möglichkeiten, sich als Architektin weiterzubilden.6 Zu den wenigen Bauhäuslern, die in Gropius’ privatem Baubüro mitarbeiten durften, zählte sie nicht.7

Bereits 1926 kaufte sich Gertrud Arndt ihre erste Kamera, mit der sie bis 1931 zahlreiche Portraits und Selbstportraits anfertigte. Für die Entwicklung der Negative hatte sich Arndt bereits in Erfurt autodidaktisch alle notwendigen Dunkelkammerverfahren beigebracht und wusste, welche Chemikalien sie sich in der Drogerie besorgen musste und welche Papiere sie benötigte. Nach ihrem Studium waren die Arndts von Dessau weggezogen. Mit der Berufung von Alfred Arndt zum Leiter der Ausbauwerkstatt 1929 kamen sie zurück nach Dessau, wo sie das Untergeschoss eines der Meisterhäuser bezogen; hier richtete sich Gertrud Arndt im Bad ihre Dunkelkammer ein. Die Situation war nun eine neue, veränderte: Alfred Arndt wurde Bauhaus-Meister, Gertrud Arndt fand sich quasi isoliert vom eigentlichen Bauhausgeschehen in der Meisterhaussiedlung mit den anderen Bauhausmeister-Ehefrauen wieder. Plötzlich sah sie sich als „Nichtstuerin“ und fotografierte sich „aus Langeweile“, wie sich ihre Tochter Alexa noch an die Erzählungen ihrer Mutter erinnerte.8 Erste experimentelle Fotoversuche entstanden erst als die Arndts zurück ans Bauhaus kamen: Fotos in starker Drauf- oder Untersicht, extreme Detailausschnitten, Positiv-Negativ-Verfahren und geometrische Schattenspiele entstanden. Das „Neue Sehen“ und das freie Experiment mit dem Medium – eingeführt durch das Engagement des Konstruktivisten László Moholy-Nagy am Bauhaus als Nachfolger von Johannes Itten – hatte die Fotografie am Bauhaus entscheidend geprägt.9 Inmitten dieser Experimente entstand eine Serie von über 40 Selbstportraits, in denen sich Arndt verkleidet und zum Teil grimassierend ablichtete: die „Maskenfotos“ (ein Begriff, den Arndt selbst für ihre Serie wählte).

T. Lux Feininger, Self-portrait as Charlie Chaplin, 1928, © Estate of T. Lux Feininger.

T. Lux Feininger, Self-portrait as Charlie Chaplin, 1928, © Estate of T. Lux Feininger.

Interessanterweise wandten sich gerade in der Zeit der Weimarer Republik gleich mehrere (heute bekannte) Frauen (wie Marta Astfalck-Vietz und Claude Cahun) der kostümierten Selbstinszenierung in der Fotografie zu. Diese fotografischen Selbstportraitserien entstanden allerdings in einem professionellen Rahmen innerhalb eines künstlerischen Werkes. Gertrud Arndt verstand sich selbst nie als Fotografin oder gar als Künstlerin; ihre Fotografien sind – laut eigener Aussage – als Exkursionen des eigenen Gesichts entstanden. Es ist allerdings verständlich, dass Arndts Maskenfotos aus heutiger Sicht und unter Einbeziehung der sozialen, politischen und kunsthistorischen Geschehnisse oftmals in einer Tradition mit den Fotos von Astfalck-Vietz und Cahun verstanden werden. Die Selbstportraits dieser Frauen sind jedoch Gesellschaftskritiken oder Selbstdarstellungen neu gewonnener weiblicher Emanzipation10 und haben nur noch entfernt mit den Maskenfotos von Gertrud Arndt zu tun.

Gegen Ende der 1920er-Jahre wurde das Medium Fotografie für ein breiteres Publikum erschwinglich und somit schlagartig populärer. Mit der Markteinführung leicht handhabbarer Kleinbildkameras (am bekanntesten ist hier die Leica) entpuppte sich die Fotografie immer mehr zu einem für Frauen machbaren Beruf. Die Fotokamera, die man nun aufgrund ihres stark verkleinerten Formats und den leichten Rollfilm stets griffbereit in die Jackentasche stecken konnte, entwickelte sich in den 1920er-Jahren außerdem zum Symbol von Flexibilität, Unabhängigkeit, Emanzipation und nicht zuletzt dem Experiment – speziell unter den Frauen. Andererseits waren das 1918 neu gewonnene Frauenwahlrecht und die Zulassung von Frauen in Universitäten und Kunstschulen in Deutschland weitere grundlegende Schritte in Richtung Frauenemanzipation.11 Diese politischen und gesellschaftlichen Veränderungen für Frauen spiegeln sich nicht zuletzt in der Fotografie wider.

Arndts Maskenfotos sind private Aufnahmen, die zu keiner Zeit in ihrem Leben für die Öffentlichkeit gedacht waren. In diesem Zusammenhang sind die Maskenfotos ganz und gar unabhängig von Betrachtern entstanden und unternahmen einen experimentellen Exkurs in die Möglichkeiten und Grenzen des eigenen Gesichts und der Maskerade – und in die vielen unterschiedlichen Figuren, in die sich Arndt in ihren Bildern verwandelte. Ein intimes Gespräch zwischen Arndt und ihrer Kamera. Das Besondere an Gertrud Arndts Maskenfotos ist, dass sie in einer umfassenden Serie entstanden. Innerhalb der 43 Fotos lassen sich wiederum kleinere Bildserien erkennen. Gertrud Arndt entwickelte in ihren Maskenfotos eine Art Außenbild von sich selbst, eine „visuelle Identität“12. Nur selten lichtete sich Arndt nur einmal im selben Kostüm ab. Es sind oftmals zwei, drei oder vier Bilder, die sie im selben Kostüm (oder mit kleineren Veränderungen) anfertigte. Hier ändern sich Pose, Gesichtsausdruck oder Bildausschnitt. In einer Serie aus drei Bildern in der Serie zeigt sich Arndt in hochgeschlossenem Oberteil mit Rüschenkragen und Hut einmal frontal mit geschlossenen Augen, dann im Halbprofil direkt in die Kamera blickend und schließlich in größerem Bildausschnitt mit überraschter Mine posierend. In einer weiteren Miniserie aus zwei Fotos fotografierte sich Arndt einmal mit geschlossenen Augen, hoch erhobenen Hauptes und im nächsten Bild auf die Nase schielend. Die wahre Frau hinter der Fassade bleibt dem Betrachter dabei verborgen. Die Bilder könnten so gedeutet werden, dass sie den Konflikt von Frauen während der Weimarer Republik veranschaulichen: eine Konfrontation von verwurzelten, konservativen Vorstellungen von Weiblichkeit auf der einen Seite und gegensätzlichen Modellen, wie der modernen, emanzipierten Frau, auf der anderen. Diese gesellschaftlichen Stereotypen mögen eine Quelle für Arndts Entscheidung sein, sich mit ihren Maskenfotos sozusagen von außen zu beobachten und zu untersuchen, inwieweit die vielen Frauen, in die sie sich verwandelte, tatsächlich Teil ihrer eigenen weiblichen Persönlichkeit waren. Gleichzeitig hat sie, vielleicht unbewusst, ihr Portraitprojekt auch im Dienste des traditionell weiblichen Bildes eingesetzt, das von ihr erwartet wurde, das auch nicht unbedingt der Realität entsprach. Stereotype Vorstellungen von Weiblichkeit waren neben konservativen Frauenbilder – wie Frau und Mutter, Witwe und naives junges Mädchen – sind Klischeevorstellungen, die sich auch in Arndts Fotografien finden lassen. Oder hat sie diese Vorbilder bewusst übertrieben, weil sie sich selbst als „Nichtstuerin“ am Bauhaus fühlte, sich in dieser Rolle unwohl fühlte und irgendwie degradiert fühlte, wenn ihr eigenes Selbstbild das einer emanzipierten modernen Frau war? Und dann wieder sind Gertrud Arndts Maskenfotos vielleicht nur das Ergebnis ihrer „Langeweile“, die sie mit Rollenspielen zu lindern versuchte.

Josef Albers, Porträts von Anni and Josef Albers kostümiert für den Valentine’s Day Ball, Black Mountain College, 1940, © The Josef and Anni Albers Foundation/VG Bild-Kunst, Bonn 2019.

Die Maskenfotos – daher auch der Titel – konzentrieren sich primär auf das Gesicht, auf die „Maske“, die sich Arndt gewissermaßen selbst aufsetzt. Mit wenigen Ausnahmen sind ihre Bildnisse als Brustportraits im Stil der italienischen Renaissance, frontal, im Halbprofil oder im Profil ausgebildet. Umgebung und körperliche Haltung treten so in den Hintergrund; das Gesicht ist das Zentrum des Fotos. Die „Maske“ verformt das Gesicht, sodass ein gewünschter Ausdruck entsteht. Arndt ließ so vielmehr gezielt und kontrolliert „dem Spiegel ihres Gesichts freien Lauf.“13 Sie kombinierte unterschiedliche Stoffe – derbe und zarte – mit Accessoires wie Hüten oder Stoffblumen miteinander und erzeugt so – bewusst oder unbewusst – unterschiedliche Frauentypen. Mit gezielt eingesetzter Gestik und/oder Mimik verwandelt sie sich in eine Frau in Trachtenkostüm, in eine trauernde Witwe oder in eine stolze Spanierin. Realität ist nicht mehr gleich Realität. Experimentell ging Arndt in ihren Maskenfotos den Fragen nach: „Was ist ein Gesicht wirklich?“ und „Wieweit lässt sein Ausdruck Schlüsse auf das Innere des Menschen zu?“14 Und auch Arndt selbst stellte sich diese Frage:

„Vielleicht hat man immer eine Maske (…) Irgendwo hat man immer einen Ausdruck, den man haben will. Das könnte man doch Maske nennen, oder. Du bist doch immer wieder anders (…), so vielerlei (…) und wenn man allein ist und es bewusst machen will, na dann verzerrt man eben das Gesicht.“15

Mit Ausnahme von T. Lux Feininger (bekannt als Dokumentarfotograf des Alltags am Bauhaus), der sich 17-jährig parodisch als Hollywoodschauspieler Charlie Chaplin fotografierte16 und ein Selbstportrait von Marianne Brandt in ihrer selbstkreierten Verkleidung als metallene Bauhaus-Amazone mit Teekugelkette und Tellerhut zum Metallischen Fest (1929), entstanden am Bauhaus keine vergleichbaren Maskenfotos – schon gar nicht in so umfassender Serie. Man feierte wild und ausgelassen am Bauhaus. Dass die Bauhausfeste mit ihren wilden Verkleidungen allerdings nachhaltigen Einfluss auch auf andere Bauhäusler hatten, zeigt beispielsweise eine Fotoserie von Kodachrome-Dias aus dem Nachlass von Josef und Anni Albers. Nachdem die Albers’ 1933 an das neu gegründete Black Mountain College in den USA berufen wurden, fanden ihre Ideen, die sie am Bauhaus zu verfolgen begannen und am BMC weiterentwickelten auch hier Eingang. Hierzu gehören die Praktiken und das pädagogische Verständnis aus dem Vorkurs, den Albers seit 1923 am Bauhaus geleitet hatte ebenso wie Anni Albers’ Neugierde auf präkolumbische Webtechniken und Muster. Wie am Bauhaus gehörten auch am Black Mountain College Tanzabende, Konzerte und Theateraufführungen fester Bestandteil des Schulalltags.17 Als zum Valentinstag 1940 ein Ball am Black Mountain College ausgerichtet wurde, verkleideten sich die Albers’ und einige ihrer Studenten in bester Bauhausfest-Manier: Josef Albers mit Schwammbart und -Augenbrauen und aus zwei Löffeln gebogener Brille, Anni Albers im schwarzen Kostüm mit Lametta-ähnlicher Perücke und schwarzem Spitzenschleier vor dem Gesicht, ein Anderer mit buntem Netzbeutel über dem Kopf, eine Frau mit selbstgemachter Perücke aus dicken Wollfäden und angeklebten Wollwimpern oder ein bleich geschminkter Student in schwarzem Anzug mit Kapuze und Weihnachtskugeln auf dem Kopf. Es war Josef Albers selbst, der eine Serie von insgesamt 21 Farbfotografien der Kostümierten anfertigte. Sie kommt Gertrud Arndts Maskenfotoserie in Bildaufbau und Inhalt am nächsten von allen bekannten Kostümfotos. Wie zu den am Bauhaus zelebrierten Festen scheint auch am Black Mountain College die Verkleidungsdevise zum Valentine’s Day Ball gewesen zu sein: alles was gefällt und selbst gemacht ist. Die Kostüme wurden aus einfachen Mittel gestaltet und sind in ihrer Einfachheit ebenso genial wie effektvoll. Auch hier feierte man gern und ausgelassen – eine Methode, die die Albers’ wohl vom Bauhaus mitgebracht hatten.

Diese Bilder kommen Gertrud Arndts Maskenfotoserie in Komposition und Inhalt am nächsten. Der Stil der Fotoserie aus dem Nachlass der Albers ähnelt dem von Gertrud Arndt: Portraits von vorn, im Halb- oder Vollprofil. Der Hintergrund ist monochrom und keinem konkreten Ort zuordenbar, scheinbar aber doch immer derselbe Ort. Auch hier sind es die Kostüme, Positionen und die Mimik der Fotografierten, die in Kombination miteinander ihre Wirkung erzielen. Die Bilder sind fotografische Dokumente der verrückten Kostümkreationen; das Mimenspiel der Portraitierten intensiviert die Rolle, in die sie sich hineinbegeben haben.

Josef Albers, Porträt von Bela Martin und einer Studentin kostümiert für den Valentine’s Day Ball, Black Mountain College, 1940, © The Josef and Anni Albers Foundation/VG Bild-Kunst, Bonn 2019.

Gertrud Arndts Maskenfotos stehen in einer langen Tradition fotografischer Maskenporträts, die in der Mitte des 19. Jahrhunderts begann. Die meisten dieser Maskenporträts waren jedoch keine Selbstportraits, sondern Schauspieler und Künstler in ihren Bühnenkostümen oder in Kleidung, die mit fremden Ländern in Verbindung gebracht wird (z.B. japanische Kimonos oder türkische Gewänder). Zu den bekanntesten Beispielen dieses Genres gehören der Maler Henri Toulouse-Lautrec, der sich als schielender Japaner ausgibt, und die Tänzerin Josephine Baker in ihrem Bananenrock.

Kostümierung und Selbstinszenierung spielten gerade am Bauhaus eine zentrale Rolle über die äußerst populären Theaterproduktionen aus Oskar Schlemmers Bühnenwerkstatt. Die Bauhaus-Aufführungen – das bekannteste von ihnen ist wohl das „Das Triadische Ballett“ – wurden so bekannt, dass die sogenannte Bauhausbühne 1928 bis 1929 quer durch Deutschland tourte. Noch heute sind Fotografien von Edmund Collein und T. Lux Feininger, die Studenten als exzentrisch, manchmal bis zur Unkenntlichkeit verkleidete Theaterfiguren mal auf der Bühne, mal am Bauhausgebäude posierend, den Esprit der Bühnenklasse ins Heute transportieren. Eine der schillerndsten Figuren der Bauhausbühne war Xanti Schawinsky – Multitalent und alles andere als laut- du farblos. Seine Entwürfe für Bühnenbilder, Kostümdesigns und interaktive Bühnensysteme prägten das späte Weimarer und frühe Dessauer Bauhaus entscheidend. Er war auch Saxofonist der legendären Bauhausband. Schließlich war es Schawinsky, der den unbedingten und ungebrochenen Experimentierwillen der Bauhausbühne Mitte der 1930er Jahre mit ans Black Mountain College nahm.18 Die Aufführung seines Spectodramas: Play, Life, Illusion im Jahr 1936 am BMC basierte auf seiner Arbeit am Bauhaus. Schawinsky selbst beschrieb es so:

„,Spectodrama‘ is an educational method aiming at the interchange between the Arts and the Sciences and using the theatre as a laboratory and place of action and experimentation. The working group is composed of representatives of all disciplines … tackling prevailing concepts and phenomena from different viewpoints, and creating stage representations expressing them.“19

Schawinsky war zum Zeitpunkt seiner Ankunft am Black Mountain College das einzige Mitglied der Bauhausbühne, das seine speziell von Schlemmer und Moholy-Nagy geprägten Ideen und Inszenierungen in den USA vermittelte; er hinterließ deutliche Spuren der innovativen Bauhausbühne am Black Mountain College.20

Gertrud Arndts Maskenfotos sind vorrangig als Lust am Darstellenden Spiel, an der Kostümierung und nicht zuletzt an der Fotografie zu verstehen, und erst anschließend als möglicherweise indirekte Suche nach sich selbst, einem Infragestellen tradierter Frauenstereotypen oder dem Erkunden mimischer Fähigkeiten. Damit befindet sich ihre Fotoserie oftmals im Spannungsfeld zwischen „Selbstverwandlung und der an Schizophrenie grenzenden Entfremdung vom vertrauten Ich.“21 Arndts Bilder stechen – obwohl ohne künstlerischen Anspruch – aus den am Bauhaus entstandenen Fotografien heraus. Zwar war sie nicht die einzige Bauhäuslerin, die sich selbst in Serie fotografierte (auch Marianne Brandt fertigte eine beeindruckende Reihe von Selbstfotos in ihrem Atelier am Dessauer Bauhaus an)22, doch setzen gerade die Bezüge zu anderen zeitgenössischen Arbeiten in der Kunst und in der Psychologie sowie die gesellschaftlichen Umstände die Maskenfotos in einen neuen Rahmen –außerhalb von Arndts privaten vier Wänden und jenseits ihrer eigenen Augen. Sie öffnen zwar den Raum für heutige Selbstportraitserien von Fotografinnen wie Cindy Sherman und Gillian Wearing, die sich fotografisch mit „weiblicher Maskerade“ auseinandersetzen, haben mit diesen aber thematisch nicht wirklich zu tun. Arndts Fotos entstanden, meiner Meinung nach, in einem viel engeren Kontext zur überaus ausgeprägten Feier- und Maskenballkultur sowie den populären und allseits präsenten Aufführungen der Bühnenwerkstatt am Bauhaus. In diesem Zusammenhang verstehe ich auch die Farbfotoserie aus dem Nachlass der Albers’.

●Footnotes
  • 1 Ulrike Müller: Bauhaus-Frauen. Meisterinnen in Kunst, Handwerk und Design, Elisabeth Sandmann Verlag, München 2009, S. 61.
  • 2 Siehe Christian Wolsdorf: Eigentlich wollte ich Architektin werden, Ausstellungskatalog Bauhaus-Archiv Berlin, Berlin 2013, S. 74.
  • 3 Walter Gropius: Programm des Staatlichen Bauhauses in Weimar, April 1919, abrufbar unter: https://monoskop.org/images/c/c3/Gropius_Walter_Programm_des_Staatlichen_Bauhauses_in_Weimar_1919.pdf (abgerufen am 07.03.2019).
  • 4 Ute Ackermann: „Bauhausfeste – Pathetisches zwischen Stepexzentrik und Tierdrama“, in: Jeannine Fiedler (Hg.): Bauhaus, Könemann, Königswinter 2006, S. 126–139, hier: S. 128–131.
  • 5 Siehe hierzu Boris Friedewald: Bauhaus, Prestel, München 2009, S. 86–89.
  • 6 Obwohl die Ziele des Bauhauses also auf den ersten Blick bahnbrechend erscheinen, so war es doch eine Kunstschule seiner Zeit – nicht herauslösbar aus den historischen Umständen, Ansichten und Gesetzen. Letztlich beugte sich der Meisterrat mit der Einrichtung der „Frauenklasse“ (1920) und der Zulassung von Frauen nach dem Vorkurs in die Werkstätten der „schweren Handwerke“ wie Steinbildhauerei, Schmiede, Tischlerei, Wandmalerei, Holzbildhauerei und Kunstdruckerei nur „in seltensten Fällen“den gesellschaftlichen Ansprüchen, Frauen zu Haushaltshilfen auszubilden. Ein weiterer Hinweis darauf ist, dass nur Schüler der Weberei erst einmal keine Abschlüsse erhielten. Doch die Weberei wuchs schließlich zur größten Bauhaus-Werkstätte heran. Die Frauen machten den Männern einen Strich durch die Rechnung, denn einige von ihnen entwickelten eine derartige Grandezza im Weben, dass die Weberei bald eine der wichtigsten Einkommensquellen des Bauhauses wurde. Spätestens seit dem Umzug nach Dessau im Jahr 1925, dem veränderten Lehrprogramm (Entwerfen für die Industrie), dem Abschluss in der Weberei mit Diplom und Gesellenbrief sowie der Theoretisierung der Weberei und hiermit verbundenen Publikationen (ab 1928 unter Hannes Meyer) revolutionierten und professionalisierten die Bauhaus-Weberinnen ihre Werkstatt derart, dass sie mühelos mit den Produkten aus der Metallwerkstatt und Tischlerei – und somit mit den klassischen Bauhaus-Designs, die wir noch heute kennen – konkurrieren konnte. Die Frauen am Bauhaus fanden ihren ganz eigenen Weg heraus aus den Stereotypen und arbeiteten auch nach ihrer Zeit am Bauhaus oftmals erfolgreich international als Textildesignerinnen, in eigenen Handwebereien oder als Dozentinnen an Kunsthochschulen, um ihre innovativen, experimentellen Techniken und Methoden in die Welt zu tragen.
  • 7 Siehe Christian Wolsdorf: Eigentlich wollte ich ja Architektin werden. Gertrud Arndt als Weberin und Photographin am Bauhaus 1923–31, Ausst.-Kat. Bauhaus-Archiv Berlin, Berlin 2013.
  • 8 Anja Guttenberger: unveröffentlichtes Interview mit Alexa Bormann-Arndt, Berlin/Darmstadt, 30.11.2008.
  • 9 Siehe z.B. Anja Guttenberger: Fotografische Selbstportraits der Bauhäusler zwischen 1919 und 1933, Dissertation, FU Berlin, 2012, abrufbar unter: https://refubium.fu-berlin.de/bitstream/handle/fub188/8338/Diss_Anja_Guttenberger.pdf?sequence=1&isAllowed=y (11.02.2019); Jeannine Fiedler (Hg.): Fotografie am Bauhaus, Ausstellungskatalog Bauhaus-Archiv Berlin, D. Nishen, Berlin 1993.
  • 10 Siehe hierzu Guttenberger, „Maskenselbstportraits“, in: dies.: Fotografische Selbstportraits von Bauhäuslern 1919 bis 1933, 2012.
  • 11 Am 12. November 1918 wurde den Frauen in Deutschland schließlich das Wahlrecht eingeräumt, das sie zum ersten Mal am 19. Januar 1919 ausüben aktiv konnten. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten Frauen kein Wahlrecht, kein Recht auf Erwerbstätigkeit und auch keinen persönlichen Besitz. Sie waren ihr Leben lang von Männern abhängig – erst vom Vater, dann vom Ehemann. Bereits seit Mitte des 19. Jahrhunderts forderten immer mehr Frauen Rechte; eine immer stärker werdende Frauenbewegung, die schließlich in klar formulierten Frauenwahlrechtsforderungen mündete, gründete Frauenvereine und setzte die Politik zunehmend unter Druck. Anfang des 20. Jahrhunderts nahmen diese Forderungen um die Frauenrechtlerinnen Minna Cauer, Anita Augspurg und Lida Gustava Heinemann Fahrt auf; für vier Jahre durch den Ersten Weltkrieg und den Deutschen Kaiser ausgebremst, setzten sie endlich 1918 mit der Abschaffung des Kaisers und der Durchsetzung der Demokratie in der Weimarer Republik ihre Forderungen durch. Vor diesem soziohistorischen Hintergrund wurde das Bauhaus gegründet, ebenso wie die technologischen Entwicklungen auf dem Gebiet der Fotografie, auf die ich im Folgenden Bezug nehme.
  • 12 Walter Grasskamp: „Augenschein. Über die Lesbarkeit des Portraits und die Handschrift des Fotografen,“ in: Kunstforum International, Vol. 52, No. 6, August 1982, S. 14–37, hier: S. 14.
  • 13 Sabina Leßmann: „Die Maske der Weiblichkeit nimmt kuriose Formen an“, in: Museum Folkwang Essen: Fotografieren hieß Teilnehmen. Fotografinnen der Weimarer Republik, Essen 1995, S. 272–274, hier: S. 274.
  • 14 Graphische Sammlung des Hessischen Landesmuseums: Gertrud Arndt. Fotografien aus der Bauhauszeit (1926–1932), Darmstadt 1993, S. 2.
  • 15 Sabina Leßmann: „Zwischen Sachlichkeit und spielerischer Verwandlung“, in: Das Verborgene Museum: Photographien der Bauhauskünstlerin Gertrud Arndt, Berlin 1994, S. 8–13, hier: S. 13.
  • 16 siehe hierzu Guttenberger: Fotografische Selbstportraits von Bauhäuslern 1919–1933, 2012.
  • 17 Martin Duberman: Black Mountain. An Exploration in Community, Northwestern University Press, Evanston 1972, S. 92.
  • 18 Josef Albers lud Schawinsky 1936 ein, als Lehrer für Theater und Malerei am BMC zu unterrichten. Siehe hierzu Eva Díaz: „Bauhaus-Theater am Black Mountain College“, in: Migros Museum für Gegenwartskunst: Xanti Schawinsky, Ausst.-Kat., Zürich 2015, S. 71.
  • 19 Schawinsky zit. in Duberman: Black Mountain., 1972, S. 89–90.
  • 20 Díaz: „Bauhaus-Theater am Black Mountain College“, 2015, S. 71.
  • 21 Siegmar Holsten: Das Bild des Künstlers. Selbstdarstellungen, Hans Christians Verlag, Hamburg 1978, S. 44.
  • 22 siehe Guttenberger: „,Selbstfotos‘ in der Kugel“, in: Guttenberger, Fotografische Selbstportraits von Bauhäuslern 1919–1933, 2012, S. 102–106.
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Case Studies of Modernist Refugees and Emigres to Australia, 1930–1950 — Light, color and educational studies under the shadow of fascism and war

A significant number of central European and German refugees and émigrés sought refuge from war and fascism in Australia during the inter-war and post-World War Two years. These refugees and émigrés introduced an approach to modernism that was crossdisciplinary and derived its inspiration from a systematic approach to arts education. In this paper the authors offer case studies in order to highlight some of their commonalities, such as a commitment to reform education, a systemic interdisciplinary approach to modernist art education and, finally, color-light explorations in art, design and architecture that arise as a consequence of these educational philosophies. → more

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The Bauhaus Journey in Britain

The Bauhaus’s teaching approach emphasised the idea of working as a community of creatives and producers rather than merely focusing on the traditional pupil-teacher relationship. In this essay the focus will be on the Bauhaus’s impetus to bring art and design into everyday life highlighting in Great Britain’s visual culture in the 1930s and between 1960s and 70s and how it influenced youth and popular culture during the swinging sixties in London. → more

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Bedsit Art in the Leeds Experiment

In the 1970s the city of Leeds was noted as home of “the most influential art school in Europe since the Bauhaus,” and a thriving punk and post-punk music scene. Gavin Butt explores a small art school milieu in which avant-garde experiments in photography, performance, film and sound art gave shape to non-conformist presentations of the body and of sexual and gendered identity. → more

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Microfilm and Memex — Lucia Moholy, Photography and the Information Revolution

Considering the role of photography, and particularly, of the Bauhaus photographer Lucia Moholy, in developing and envisaging information systems during and after World War II this paper focuses on the connection between her pre-war practices and her work as the director of the ASLIB Microfilming Service in wartime London, using it to think through the direction of developments in media and information technology by drawing a comparison with Vannevar Bush’s famous essay “As We May Think” (1945). → more

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Penguin’s-Eye View — Lázló Moholy-Nagy meets Berthold Lubetkin at the London Zoo

One day in September 1936, Ernestine Fantl, a curator at New York’s Museum of Modern Art (MoMA) and Lázló Moholy-Nagy stood looking at the new Penguin Pond in London Zoo. Fantl was on a research trip for an upcoming exhibition, Modern Architecture in England, that would heavily feature the striking structures Soviet émigré architect Berthold Lubetkin’s firm Tecton had built at the London and Whipsnade Zoos, among them the Penguin Pond. Realizing “that no still photograph could do justice to the pool or its denizens,” on the spot Fantl commissioned Moholy to produce a film about Tecton’s animal enclosures. → more

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To train not only for, but also against something! — A plea to think politically about the interdisciplinary art academy

Art colleges where the fine, applied and performing arts are taught under one roof often refer to the historical Bauhaus. Although the institution possessed no separate workshop for music, the experiments on the Bauhaus stage are regarded as prototypical for the further development of interdisciplinary art approaches later in the twentieth century. This text deals with the interdisciplinary art academy on the slide of a deregulated present. It reviews a number of developments to which we have already become accustomed. It is precisely for this reason that we should recall the opportunities offered by interdisciplinary education in both an artistic and political sense. → more

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