Eine Darstellung des Themas „Johannes Itten und Mazdaznan“ könnte als beabsichtigter politischer Rufmord des genannten Bauhaus-Lehrers verstanden werden. Denn unter der Überschrift „Stadt will Straße nach Rassentheoretiker benennen“, hatten 2011 die „Münchner Lokalberichte“, eine kleine Zeitschrift im Umfeld der Münchner Partei DIE LINKE, einen zumindest in München äußerst wirksamen Artikel gegen Itten abgedruckt. Der torpedierte damit erfolgreich den vom Bezirksausschuss Schwabing-Freimann angeregten, vom Ältestenrat des Stadtrats im Sommer 2011 abgesegneten und dann vom Kommunalausschuss im Herbst 2011 – ohne Einwände des für Recherchen bei solchen Namensgebungen zuständigen städtischen Vermessungsamtes – schließlich beschlossenen Antrag, in einem Neubaugebiet vier neue Straßen nach den Bauhaus-Künstlern Fritz Winter, Gertrud Grunow, Max Bill und eben Johannes Itten zu benennen. Der Rassismusvorwurf wurde dabei wissenschaftlich abgestützt mit dem Hinweis auf das Mazdaznan-Kapitel im sport-geschichtlichen Werk von Bernd Wedemeyer-Kolwe „Der neue Mensch: Körperkultur im Kaiserreich und in der Weimarer Republik“ (Würzburg 2004, hier S. 153–164). Dem Fraktionschef der Grünen im Münchner Stadtrat kam der Artikel der „Münchner Lokalberichte“ vor Augen und er gab die Information, nach Rücksprache mit seiner Fraktion, an das Direktorium der Stadt. Dort wurde die Angelegenheit weiter verfolgt mit der Konsequenz, dass im Juli 2012 der Kommunalausschuss des Stadtrats die bereits beschlossene, wenn auch erst auf dem Reißbrett vorhandene Johannes-Itten-Straße wieder „entnannte“ (so der Fachausdruck) mit Hinweis auf die Begründung des Kommunalreferats: Itten sei Mazdaznan-Anhänger gewesen und damit Anhänger „einer religiösen Lehre mit zarathustrischen, christlichen und hinduistischen Merkmalen, die durch ihre rassistischen Elemente eine Affinität zur Ideologie des Nationalsozialismus aufweist“. Die Münchner Abendzeitung kommentierte am 12. Juli 2012: „Stadt ändert umstrittenen Straßennamen. Johannes Itten, ein Künstler, sollte der Namensgeber sein – doch seine Vita hat einen dunklen Fleck.“ Impliziert war der Vorwurf, dass damit wohl auch das Bauhaus selbst mit seinem gefeierten Meister von „Form und Farbe“ einen solchen „dunklen“ rassistischen Fleck besitzt. Die Münchner Umbenennung in eine Margarete-Schütte-Lihotzky-Straße 2013 nach der österreichischen Architektin und kommunistischen Widerstandkämpferin, Schöpferin der „Frankfurter Küche“, vermochte diesen angeblich braunen Flecken nicht reinzuwaschen.
Es wäre an dieser Stelle wenig zielführend, ausführlicher dem insgesamt nicht sehr originellen Rassismus der „Mazdaznan-Lehre“ und ihres Gründers Dr. Otoman Zar-Adusht Hanish, vulgo der deutschstämmige Amerika-Auswanderer Otto Hanisch nachzugehen. Denn dieser mit einem naturwissenschaftlichen Evolutionismus gekoppelte Rassismus war auf weite Strecken Parallel- und Gegenentwurf zum Rassismus der Theosophie und Anthroposophie, denen sich ab 1916/17 auch Itten als Leiter seiner Wiener Malschule zuwandte (ebenso wie der Astrologie und Zahlenmystik). Nachdem er die Ernährungs-, Atem- und wohl auch die Charakterlehre von Mazdaznan schon während seiner Jahre an der Stuttgarter Kunstakademie (1913–1916) für sich selbst anwandte, setzte er diese Erkenntnisse erstmals als „Lehr- und Erziehungssystem“ an seiner eigenen privaten Kunstschule in Wien (1916–1919) pädagogisch ein. Spätestens 1918/19, immer noch vor seinem Wechsel zum Bauhaus, rezipierte er auch das kultur- und kunstgeschichtlich erweiterbare Rassen-Modell von Mazdaznan mit dessen immerhin doch überraschender Aussage, die Juden gehörten der weißen Rasse an. Der Mazdaznan-Rassismus war deshalb frei von Antisemitismus – das galt gerade auch für Itten! Aber es ist kein Geheimnis, dass Ittens Vision des Bauhauses, wie er sie etwa in seinen fünf Bauhausvorträgen im Spätherbst 1922 unter dem Titel „Der kommende Mensch“ auch öffentlich in Weimar vortrug, das „Haus des weißen Mannes“ (Bauhausmappe 1921) und damit das Haus der kommenden, der siebten Rasse war. Und dass in diesem „weißen“ Bauhaus der Zukunft arische Künstler-Mönche durch ihr Rassereines Leben (im Mazdaznan-Sinne also auch durch die Reinheit des „Blutes“) eine neue und reine Kunst hervorbringen sollten, daran ließ er in seiner Vortragsreihe keinen Zweifel. Doch wie wirkte sich diese rassistische Weltanschauung des Schweizer Bauhaus-„Meisters“ auf die Bauhaus-Praxis aus?
Es ist nicht zu leugnen, dass Ittens rassistischer Glaube an die nach dem Ersten Weltkrieg in Gebildetenkreisen durchaus populäre Mazdaznan-Lehre auch sein pädagogisches Rezept für das Bauhaus selbst war, wobei er dabei zunächst völlig von dessen Direktor Walter Gropius unterstützt wurde. Wesentlich war dafür die Tatsache, dass „Mazdaznan“ als innerweltliche Selbsterlösungslehre eine Spielart der seit 1900 nicht nur in den deutschsprechenden, sondern auch in den protestantisch geprägten angelsächsischen Ländern populären „Lebensreform“-Bewegung war. Im Zentrum stand also nicht nur eine rassistische Weltanschauung, sondern eine „lebensreformerische“ körperliche und mentale Alltagspraxis. Die erfolgreichste Mazdaznan-Publikation, auch am Bauhaus, war nicht zufälligerweise eine Ernährungslehre plus Kochbuch – ein sicher ungewöhnliches Erzeugnis im globalen Korpus religiöser Heiliger Schriften (wobei Speisetabus ja auch ein Bestandteil der uns geläufigen Konfessionen und Religionen sind).
Diese lebensreformerische Praxis sollte nach Ittens Vorstellungen das „Bauhaus“ stabilisierend durchdringen. Solche innere und äußere Stabilisierung war notwendig. Denn die dortigen Studierenden mussten nach dem Ersten Weltkrieg (aus dem ja manche von ihnen als traumatisiert-suchende Soldaten zurückkehrten) und in den stürmischen Revolutions- und dann Inflationsjahren, bei aller ihnen gewährten künstlerischer Freiheiten, doch auf eine zum geordneten Schulbetrieb als notwendig erachtete Disziplin erst hinerzogen werden. Während Gropius hierbei zunächst auf die großsprecherische Botschaft der ego-zentrierten „Selbstbeherrschung“ durch den „Inflationsheiligen“ Lou Hauesser hereinfiel – aber das ist eine andere Geschichte – setzte der ausgebildete Gymnasiallehrer mathematisch-naturwissenschaftlicher Richtung Itten auf die geistige Orientierung an der Mazdaznan-Lehre und vor allem auf deren Umsetzung durch Anweisungen für die psychosomatische Selbstdisziplinierung. Sie galten auf dem Felde der gesamten Lebensführung, also beim Atmen und Essen, aber auch unter Einschluss der Sexualität als wesentlichem Aspekt der Rassen-Hygiene und Eugenik. Denn die Selbstreform durch Mazdaznan hatte immer als über-individuelles Ziel die Rassen-Veredelung. Inspiration erhielt Itten dabei durch das deutsche Mazdaznan-Zentrum in Leipzig, mehr noch durch Aufenthalte in der Mazdaznan-Siedlung Aryana in Herrliberg bei Zürich. Dorthin zog er dann auch, ein „Eingeweihter“ unter Gleichgesinnten, als es 1923 zwischen ihm und dem Bauhaus zur Trennung kam.