Sein Erkenntnisinteresse war die Form – als etwas sich Veränderndes, etwas Dynamisches: „Mein Verhältnis zur Form war von Anfang an offen. Mich interessierte der Wandel, das Woher und Wohin?!”1 Das Medium Film schien ihm zunächst ideal, um seinen künstlerischen Strategien der Transformation und Variation von Formen gerecht zu werden: „Woher kommt diese Sache? Da ist sie jetzt. Wo wird sie hingehen? Und das ist filmisches Denken.”2 Er kam 1930 ans Bauhaus mit dem ausdrücklichen Ziel, seine zuvor entstandenen Formreihen dort als Filme umzusetzen. Dieses Vorhaben konnte er bis zum Ende des Bauhauses 1933 nicht verwirklichen, sondern erst nach seiner Pensionierung 1972. Warum diese Filmprojekte so lange unverwirklicht blieben, soll im Folgenden untersucht und kommentiert werden. Kranz’ Entwürfe zu den frühen Formreihen möchte ich dabei hinsichtlich ihrer filmischen Mittel analysieren und mit den später realisierten Filmen vergleichen. Abschließend erfolgt eine Kontextualisierung der filmischen Arbeiten innerhalb des künstlerischen Konzepts von Kurt Kranz.
I. Das Filmprojekt am Bauhaus
Nach der Schule absolvierte der 1910 geborene Kurt Kranz in Bielefeld eine Lehre zum Lithografen und besuchte parallel dazu Abendkurse der Kunstgewerbeschule. In dieser Zeit entstanden seine ersten abstrakten Formstudien, unter anderem die Formreihen 20 Bilder aus dem Leben einer Komposition3 (1927/28) sowie schwarz : weiß / weiß : schwarz (1928/29). In diesen frühen Formreihen manifestieren sich bereits die zentralen künstlerischen Konzepte von Kranz: das Arbeiten in Serien, die Wandlung von Formen und das Spiel mit Variationen. Jede dieser Serien basiert auf einem Formenspektrum, das mittels einer Folge von Einzelbildern Veränderungen durchläuft. Jedes Bild steht dabei für eine Phase eines Transformations- oder Variationsprozesses. Die einzelnen Bilder sind wiederum nicht voneinander isolierbar, sondern erscheinen als „Phasen aus Prozessen, die ihre Beschreibung erst in der Gesamtzahl der Phasen erreichen.”4 Wenn auch nicht explizit für eine filmische Umsetzung entworfen, sind diese beiden frühen Formreihen bereits von filmischen Techniken inspiriert, da sie „die Möglichkeit eines Bewegungsablaufes andeuteten”.5
1929 wurde in Bielefeld eine Ausstellung mit Arbeiten der Bauhauslehrer gezeigt und László Moholy-Nagy hielt in diesem Rahmen einen Vortrag über das Bauhaus und den Konstruktivismus. Kranz war davon begeistert und zeigte dem ehemaligen Bauhausprofessor seine ersten beiden Formreihen. Moholy-Nagy empfahl Kranz, sich am Bauhaus zu bewerben. Im Sommersemester 1930 nahm Kranz das Studium am Bauhaus auf. Er besuchte den Vorkurs bei Josef Albers, die Fotografie-Klasse bei Walter Peterhans, die Reklame-Klasse bei Joost Schmidt sowie Kurse bei Wassily Kandinsky und Paul Klee. Über diese Zeit am Bauhaus sagte er später: „Das erste Semester in Dessau war eine Öffnung ins Unendliche. Man verlor den Boden unter den Füßen und gewann ein neues Ziel: die Bauhaus-Idee.”6