Die Kunststudenten aus den East-Midlands waren zum Medium einer Widerauferstehung geworden. Ihre popkulturelle Aneignung des historischen Bauhaus machte mir jedenfalls viele Jahre später den Blick dafür frei, dass das Bauhaus wie Bela Lugosi aus dem Geist des 19. Jahrhundert hervorgegangen war. Es gibt Stimmen, die sagen, dass das Bauhaus jener letzte Schritt gewesen sei, der künstlerischen Kritik an der Warenproduktion des Industriekapitalismus eine institutionelle Form zu verleihen. Eine Kritik, die bereits Mitte des 19. Jahrhundert in der britischen Arts and Crafts-Bewegung formuliert worden war. Die Rückbesinnung auf mittelalterliche Bauhütten fand sich nicht nur im Namen Bauhaus oder in der Anrufung des Handwerks wieder (die Gropius mit dem indischen Poeten und Pädagogen Rabindranath Tagore 1919 teilen sollte), sondern auch in dem von Feininger gestalteten Cover des Bauhaus Manifests, im expressionistischen Holzdruck einer Kathedrale, die gleichzeitig Bruno Tauts Stadtkrone reflektierte. Das sogenannte englische Gothic-Revival, auf das sich Grafik und Text des ersten Bauhaus Manifests beziehen, stammt ursprünglich aus dem imperialen frühindustrialisierten England. Dieses Gothic-Revival, das von Augustus Welby Northmore Pugin, John Ruskin und William Morris mit Thesen, Texten, Architekturen und Gestaltungen aktiv begleitet wurde, entwickelte sich zu jenem britischen Gothic-Stil, der für das Land prägend werden sollte. Dass dieses englische Wiederaufleben der Gotik Walter Gropius und das Bauhaus noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts verfolgte – und einem Hinweis Sarat Maharaj folgend bis zu Gandhis Ideen für die Rückgewinnung der Produktionsmittel wirken sollte – erscheint monströs. Aber diese Rückwendung zu mittelalterlichen Produktionsweisen sagt auch etwas über die Wirkmächtigkeit des Kapitalismus/Kolonialismus und seiner immer wiederkehrenden widerstreitenden Kräfte aus. Denn nur so ist doch das Überleben überlebter Ideen zu verstehen, dass sie sich nicht zur Gänze realisieren konnten und sich – wie ein Poltergeist – an unerwarteter Stelle immer wieder zeigen wollen. In den späten 70er-Jahren ist es die Postpunk-Band Bauhaus, die der vergessenen Gothic-Vergangenheit des frühen Bauhaus ein Monument setzt – auf einem Grab, das sich nicht schließen will.
Dies mag daran liegen, dass – eben ganz anders als Marx und Engels es analysiert hatten – die Arts and Crafts-Bewegung und auch das Bauhaus vor allem auf eine ästhetische und pädagogische Reform zielten. Und es ist möglicherweise diese Ersetzung einer notwendigen sozialen Umwälzung mit einer ästhetischen Reform, die uns als unruhiger Geist bis heute verfolgt. Bauhaus die Band rezipierte Ende der 70er-Jahre das Bauhaus bereits jenseits des Mythos, entgegen des Imperativs die gesamte Objektwelt umgestalten zu müssen. Vielmehr verwandelte Bauhaus die Band Ende der 70er-Jahre die Utopie der Weimarer Republik in eine Dystopie, in der das Obsolete in seiner Umkehrung weiterlebt. Denn die Fortschritts- und Wachstumsideologien des Industriekapitalismus und die Umarmung der Synthese von Kunst und Technik, wie sie das Bauhaus seit 1923 propagierte hatten, sich verbraucht. Der Arbeiterschaft und seiner Kinder wurde sich entledigt. Arbeitslosigkeit wurde zum Kennzeichnen der sogenannten Postmoderne unter den Vorzeichen und dem Erstarken der neoliberalen Ideologie in Europa und den USA. Der Leadsänger Peter Murphy wächst in einem Umfeld auf, in dem die sich selbst überlassene Arbeiterschaft im Umfeld ihrer katholischen Gothic-Revival-Kirchen auf ein besseres Leben hofft.
In meiner Ruhrpott Heimatstadt Bochum spielten etwa zur selben Zeit in einer der leerstehenden, besetzen Fabrik im Jahr 1982 die Einstürzende Neubauten. Mit allem, was die verlassene Fabrik so hergab, spielten Blixa, Mufti und Co mit uns allen, die sich ebenfalls mit herumliegendem Eisenschrott ausgestattet hatten, ein solidarisches Konzert für die Besetzung der verlassenen Fabrikhallen. Überall in Europa standen die ehemaligen Zentren der industriellen Produktion, der Stahl- und Kohleproduktion auf einmal still. Die Auslagerung der Industrieproduktion an andere Standorte hatte unlängst ihren Siegeszug gefeiert. In den leeren Fabrikhallen setze sich die postmoderne Jugend für Zentren für eine eigene Kultur ein. Orte jenseits der Bevormundung, jenseits der Klassen- und Geschlechterhierarchie, jenseits von Schule, Berufsausbildung, vorgestampften Karrierewegen und Anpassungsleistungen schwebte uns vor und wir suchten diese in der Subkultur, der Musik, dem Stil in klarer Dissonanz zum rechten, bürgerlichen aber auch linksliberalen Mainstream.
Der Name Einstürzende Neubauten verweist dabei auf ein anderes Beerdigungsszenarium. Denn obwohl viele Jugendliche in Neubauten der 50er-Jahre mit arbeitslosen oder geringbeschäftigten Eltern lebten, war es ausgerechnet der von den Medien begleitete Abriss von vierzehnstöckigen Apartmenthäusern in St. Louis im Jahre 1972, dem Komplex Pruitt-Igoe des Architekten Minoru Yamasaki, der die Postmoderne symbolisch einläuten sollten. Eine Siedlung, die zwanzig Jahre vorher noch als Beispiel einer Welfare-Architektur gegolten hatte, die die ärmeren Bevölkerungsgruppen berücksichtigte. Den Abriss der Häuser kommentierte der amerikanische Architekturtheoretiker Charles Jencks mit dem kanonisch gewordenen Satz:
„Modern architecture died in St Louis, Missouri on July 15, 1972, at 3.32pm (or thereabouts). (…) It was finally put out of its misery. Boom – boom – boom.“
Wider eine Ersetzung und keine Zeit, um zu trauern – um die afro-amerikanischen Bewohner*innen, vor allem alleinerziehende Frauen mit ihren Kindern , die in der Siedlung (in misery) lebten und von Pruitt-Igoe in eine andere misery umgesiedelt wurden. Polemisch eine neue Zeit einzuleiten bedeutet auch bei Jencks auf die Sprache der Gewalt zurückzugreifen: „BOOM-BOOM-BOOM“. Diese Schüsse aus dem Mund eines Architekturkritikers klingen heute im Kontext von Black Lives Matter mehr als zynisch. Was die gewaltvollen Kriege des 20. Jahrhunderts nicht zerstört haben, erledigen bis heute Abrissbirnen, Sprengungen, Wohnungsspekulation, Baupolitik, der rassistische Diskurs.
Bezahlbarer Wohnraum und Bildung für alle waren Forderungen der Moderne, die ich jedenfalls nicht begraben möchte. Auch die Notwendigkeit neue Institutionen gründen zu müssen, wenn die gesellschaftlichen Bedingungen es erfordern. Die Idee, mit der das Bauhaus antrat, eine Schule zu gründen, in der Kunst und Gestaltungsprozesse eine neue Beziehung eingehen indem ein dritter Ort entsteht, der weder künstlerische noch gestalterische Verfahren verwirft und diese nicht allein dem Markt oder einer gesellschaftlichen Elite überlässt, ist eine Untote, die uns solange heimsucht, bis wir in der Lage sind, diese zu realisieren.